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Ein Vergewaltigungsprozess in Finnland ist reichlich anders, wie ich selbst miterlebt habe

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Rainer Pohlen

Rainer Pohlen

Am Anfang der Woche bin ich mit einem Mandanten, dem eine nach meiner Überzeugung nicht stattgefundene Vergewaltigung zur Last gelegt wird, zu einer Hauptverhandlung nach Finnland gereist. Gemeinsam mit einem finnischen Kollegen habe ich an der Verhandlung teilgenommen und dabei mal wieder festgestellt, wie unterschiedlich Verfahren innerhalb der EU trotz aller Bemühungen um Vereinheitlichung der Rechtsordnungen verlaufen.

Das Verfahren fand auf Antrag des angeblichen Tatopfers komplett unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und das Gericht hat es den Verfahrensbeteiligten unter Strafandrohung untersagt, inhaltlich über die Verhandlung zu berichten. 60 Jahre lang soll das Geschehen unter Verschluss bleiben. In Deutschland ist es so, dass die Verfahren – abgesehen von Jugendstrafverfahren –  grundsätzlich öffentlich sind und das Publikum auf Antrag allenfalls zeitweise ausgeschlossen werden kann, wenn schutzwürdige Belange aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich eines Beteiligten erörtert werden. Danach ist die Öffentlichkeit wieder zuzulassen. Insbesondere hat sie auch bei der Urteilsverkündung ein Recht auf Anwesenheit.

Aus oben genannten Gründen darf ich zum Verlauf der Hauptverhandlung hier nichts berichten. Interessant war für mich aber neben vielen anderen Details, dass im Gerichtssaal eine Trennwand aufgestellt wurde, so dass weder der Angeklagte noch die Verteidigung die Hauptbelastungszeugin bei ihrer Aussage sehen konnten. Bei uns wäre das ziemlich unvorstellbar, zumal es doch wichtig ist, die Mimik und Gestik eines Zeugen zu sehen und hierauf gegebenenfalls auch regieren zu können.

Anders als bei uns erfolgt  die Befragung von Zeugen und des Angeklagten in erster Linie nicht durch das Gericht, sondern Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und  Verteidigung bekommen das Fragerecht und das Gericht greift nur gelegentlich mit Nachfragen ein. Insoweit ist das Verfahren von Beginn an kontradiktorisch angelegt.

Das Unmittelbarkeitsprinzip scheint ebenfalls weniger als bei uns zu gelten. So werden beispielsweise polizeiliche Vernehmungen durch Bezugnahme auf die Akten ins Verfahren einbezogen, ohne dass diese vollständig verlesen werden müssen. Die Vernehmungsbeamten wurden auch nicht persönlich vernommen, obwohl dies nach meinem Dafürhalten geboten gewesen wäre. Ich habe darüber mit dem finnischen Kollegen diskutiert, der es nicht für opportun hielt, entsprechende Anträge zu stellen. Der Kollege kennt die Gegebenheiten vor Ort sicher besser als ich, deshalb habe ich nicht insistiert.

Das Urteil soll erst nächste Woche (in Abwesenheit des Angeklagten) gesprochen werden.

Ich hoffe, es wird – was nach meinem deutschen Rechtsverständnis fast zwingend wäre – zum Freispruch kommen.

 

 

 

 


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